Der Eingriff
Die vorliegende Projektidee sieht sich als Eingriff, einen für diesen Ort charakteristischen Teil (der Tunnel als Teil des Systems der autogerechten Stadt) baulich, nicht funktional, zu konservieren.
Mit dem im Sommer 1999 beschlossenen Bebauungsplan wird ein Mal mehr ein Stück Stadt der vorangegangenen Epoche gemäß einer tagesaktuellen Archiktekturauffassung überformt und unsichtbar gemacht. Das Projekt der Umnutzung des Autotunnels versucht, in Anerkennung dieser Realitäten, das neu entstehenden Ensemble zu bereichern, indem es ein Stück Vergangenheit neben dem Neuen konserviert und so dazu beiträgt, daß die Vielschichtigkeit des Ortes erhalten bleibt.
Die historisch/zeitlichen, sozialen, technisch-funktionalen sowie zwei- und dreidimensionalen räumlichen Gleichzeitigkeiten und Überlagerungen von Existenzen und Aktivitäten sind die für mich wichtigsten Merkmale des städtischen überhaupt. Sie sind das Kapital einer hochverschuldeten Stadt wie Berlin. Es muss nur sinnvoll genutzt werden. Ich möchte diese Merkmale noch verstärken, um das „Städtische“ des Ortes aufzuwerten und noch interessanter zu machen.
Viele Straßen und Plätze in Berlin weisen die genannten Merkmale auf. Allerdings befinden sich diese Orte in einem Prozess ständiger Mutation, da versucht wird, sie ästhetisierend zu perfektionieren, zum Beispiel durch künstliches Unsichtbarmachen von „störendem“ PKW-Verkehr, Verdrängung von Randgruppen etc. Letztendlich führt diese Entwicklung zum Verlust der unabdingbaren Gleichzeitigkeit (oder: Konfrontation) der verschiedenen städtischen Elemente.
Die Akteure, Investoren, Politiker etc. wollen vorhandene „unharmonische“ städtische Situationen aus ihrer subjektiven Sicht verbessern, scheitern aber häufig, in dem vormals interessante und lebendige Orte zur gepflegten Langeweile harmonisiert werden.
Die architektonische Neudefinition des Strassentunnels unter der Grunerstraße sehe ich als eine dem Ort angemessene Maßnahme.
Der Alexanderplatz ist (z.T. rudimentäres) Ergebnis städtebaulicher Theorien der klassischen Moderne, sowie, hauptsächlich, der Moderne im Sinne des sozialistischen Städtebaus der Nachkriegszeit. Er steht kurz vor einer weiteren Überformung nach dem Entwurf von Hans Kollhoff aus den frühen neunziger Jahren. Das Allheilmittel heißt hier Block und (enge) Straße. Diese neue Schicht über dem Ensemble Alexanderplatz wird den Ort stark verändern und wenig von der heutigen Situation mit ihrer großzügigen Weite (auch das kann eine Qualität sein) übriglassen. Berlin mit seiner wechselvollen und kurzen Geschichte ist, wie häufig zitiert, „dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein“.
Meiner Ansicht nach sollte Architektur primär versuchen, aus dem Bestand heraus zu arbeiten, was voraussetzt, daß das Vorgefundene dogmafrei gesehen und benutzt wird. Durch kreative Eingriffe werden dem Gewachsenen neue Zusammenhänge, Beziehungen, Funktionen und damit Qualitäten hinzugefügt. Dies ist meiner Ansicht nach dem Prinzip des „table rase“ und anschließendem Neubeginn, wie wir es heute überall erleben, in jedem Fall vorzuziehen.
Charakteristisch für Berlin ist die Abneigung, die hier der Architektur und den städtebaulichen Ideen der Vätergeneration (ganz im Gegensatz zur „Großvätergeneration“) entgegengebracht werden. Der Austausch des vermeintlich „überholten“ gegen das bessere „Neue“ ist radikal. Wurden während der Zeit des „Wirtschaftswunders“ im Westen beispielsweise „Stuckabschlagsprämien“ gezahlt, so wird 30 Jahre später das vermeintlich „alte“ wieder herbeigesehnt und in Form von historisierenden Gebäudehüllen, siehe Hotel Adlon, in Disneyland-Manier und kommerziell äußerst erfolgreich re-inszeniert.
Ein weiteres Beispiel ist der Umgang mit der Berliner Mauer in der Nachwendezeit. Konnte es den Verantwortlichen zunächst kaum schnell genug gehen, die Betonplatten zu entsorgen, so entsteht heute, kaum zehn Jahre nach der „Wende“, schon wieder eine museale Sehnsucht nach dem Bauwerk, das die Stadt immerhin 30 Jahre lang geprägt hat. Diese Radikalität, mit der hier die eine Epoche (oder: Mode?) gegen die andere ausgetauscht wird, führt natürlich wieder zu dem vorgenannten Phänomen.
Und gerade die zeitliche Überlappung der verschiedenen Phasen und das „immerfort zu werden“ Berlins machen die Stadt zu dem, was es ist: eine hochinteressante, vielschichtige, schöne und hässliche Großstadt.
Das Gleichgewicht des Ortes fördern
Der Stadraum „Alexanderplatz“ befindet sich hinsichtlich verschiedener Parameter wie z.B. Verkehr, Institutionen, Nutzungen, Frequentierung, Städtebauliche Dichte, „emotionaler Dichte“ im Ungleichgewicht.
Dies wird in späteren Analysen genauer nachgewiesen werden. Das vorliegende Projekt für den Autotunnel an der Ostseite dieses Raumes soll dazu beitragen, ein Gleichgewicht der o.g. Parameter herzustellen.